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Interviews

Eine Stimme aus Samt – Sänger Lie Ning im Interview

von Hannah
Lie Ning Saenger Foto mit freiem Oberkoerper

Lie Ning lässt Grenzen verschwimmen

Der 22-jährige Berliner Sänger Lie Ning verzaubert uns. Bei einem Event des Urban Sports Club vor einigen Monaten durften wir uns von dem talentierten Künstler live verzaubern lassen. Die Tiefsinnigkeit seiner Lieder spürt man sofort, dennoch wirken sie nicht erschwerend. Außerdem beeindruckt die Stärke und Selbstsicherheit, man merkt, Lie Ning ist in der Musik zuhause. Die Leidenschaft und Emotionen, mit der Lie Ning während seines Auftritts den Raum füllte und seine Zuhörer fesselte, machte uns neugierig. Wir wollten mehr über den gebürtigen Prenzl-Berger erfahren und durften einiges von Lie Ning lernen. Hier geht’s übrigens zu seinem Spotify Account.

Overview: Wie kamst du zum Singen bzw. wie hast du gemerkt, dass du ein Talent besitzt?

Lie Ning: Ich kann das gar nicht an einer spezifischen Situation fest machen. Ich denke ich war immer fasziniert von Körperlichkeit und allen Kunstformen, die aus und mit dem eignen Körper entstehen. Tanz, Schauspiel und eben Gesang. Doch gibt es eine prägende Erinnerung, die mich zumindest die Stärke von Gesang spüren lassen hat. Als Kind spielte ich in der Gershwin Oper „Porgy and Bess“. Es fiel mir so leicht meine Rolle zu spielen, da der Gesang der HauptdarstellerInnen mich so stark fühlen lassen hat.   

O: Was macht Dir an Deinem Job am meisten Spaß?  

Lie Ning: Auf der Bühne zu stehen. Wenn das auch der nervenaufreibendste Aspekt ist, erfüllt es mich jedes Mal. Der Austausch mit einem Publikum gibt mir so unheimlich viel. Andere Menschen zu spüren, ihre Geschichten zu erfahren und dadurch meine eigenen Lieder besser kennenzulernen ist unvergleichlich.   

O: Hast du jemals gezweifelt oder mit dem Gedanken gespielt aufzuhören?  

Lie Ning: Oh ja. Andauernd. Ich habe manchmal das Gefühl nicht einmal zu wissen was ich mache. Doch schaffen die Zweifel es nie in den Vordergrund zu treten. Dafür gibt es einfach zu viele Gründe weiterzumachen. Tatsächlich würde ich mir aber eine stärkere Wertschätzung der Künste durch den Staat wünschen. Würde diese Tätigkeit klarer als Beruf angesehen werden und intensiver durch Räume und Gelder unterstützt werden, würden wir KünstlerInnen sicherlich seltener von Zweifeln geplagt werden.   

O: Was motiviert dich, weiterzumachen auch in schwierigen Zeiten?  

Lie Ning: Inzwischen sind es die Menschen, die mich gefunden haben. Ich habe nach der Veröffentlichung meiner Debut EP so viele persönliche Nachrichten erhalten. Von Menschen, denen spezifische Lieder durch schwere Zeiten geholfen haben oder aufgeheitert wurden durch meine Musik. Das ist das schönste Kompliment und motiviert mich immer wieder. Ansonsten mein Ego. Ich habe ja noch nicht ansatzweise alles auskosten dürfen, proben dürfen, sehen dürfen. Ich habe großen Hunger auf mehr.   

O: Jetzt veröffentlichst du dein Album und kannst auf Grund der derzeitigen Einschränkungen durch das Corona Virus keine Konzerte geben. Wie gehst du damit um und was habt ihr euch alternativ überlegt?  

Lie Ning: Oooh ja, furchtbar. Aber ich nehme mir das definitiv nicht zu Herzen, da wir alle gemeinsam in dieser Krise stecken. Momentan genieße ich es tatsächlich sogar, das Leben etwas ruhiger anzugehen. Aber die Live-Auftritte fehlen mir. Meine Band. Meine Bühnenoutfits von Don Aretino und eigentlich wären wir auch noch ein weiteres Mal mit ÄTNA aufgetreten, was jetzt auch ausfällt. Mit diesen beiden tollen Menschen waren wir gerade auf Tour. Aaaaaber das soll nicht heißen, dass es keine Musik gibt. Am 10.04 waren mein Gitarrist Leon und ich im Livestream auf dringeblieben.de zu hören. Das Konzert ist auch noch eine Weile dort zu finden, falls jemand reinschauen mag.   

O: Gehen wir davon aus, dass Corona (bald) vorbei ist. Was steht bei dir dann als erstes an. Auf was dürfen wir uns freuen?  

Lie Ning: Als allererstes werde ich meine Freunde ganz doll umarmen.  Und dann werde ich mich wieder ganz auf die Musik konzentrieren.  Es liegen ein paar Songs auf dem Tisch, auf die Ihr gespannt sein könnt.  Zudem arbeite ich mit einem großartigen neu gegründeten Berliner Kollektiv seit Anfang des Jahres an einem ziemlich ambitionierten Filmprojekt, welches gerade pausiert. Das werden wir danach definitiv wiederbeleben. 

O: Wie würdest du die Grundemotion deiner Lieder beschreiben? Was ist die Botschaft, die du übermitteln möchtest?  

Lie Ning: Wärme. Ganz klar das Gefühl gesehen zu werden. Ich versuche ein Gefühl zu transportieren, welches meiner Meinung nach in unserer Zeit häufig ein wenig wegfällt. Die Relevanz von physischer Nähe und physischer Anerkennung. So sehr ich die mediale Welt liebe, ist sie „noch“ nicht in der Lage eine Umarmung zu geben.   

O: Erzähle uns mehr über deinen Song „Tonight“. Wie ist er entstanden?  

Lie Ning: Oh das ist meine Lieblingsgeschichte. Ich war an dem Abend mit meiner besten Freundin Mia tanzen. Was wie eine gewöhnliche Nacht startete, erfuhr bald eine drastische Wendung, als wir leicht alkoholisiert entschieden uns die ganze Nacht lang alle Geheimnisse und tiefsten inneren Stimmen offenzulegen. Das konnte eine Kindheitsgeschichte sein in der ich meiner Mutter zwei Euro stahl. Eine Scham, die mich nie losließ. Oder Unsicherheiten, Erfahrungen, die wir nie teilen konnten. Und plötzlich erfuhr unsere Beziehung so eine starke neue Innigkeit.

Ich bin direkt am nächsten Morgen ins Studio gegangen und habe innerhalb kürzester Zeit „tonight“ geschrieben. 

O: Stellen wir uns vor, wir sind jetzt in 2030. Wo stehst du heute und was hast du in den letzten 10 Jahren erlebt?

Lie Ning: Uff. Das möchte ich gar nicht wissen. Ich finde das spannendste am Leben ist der Zufall, die Ungewissheit. Das regt an und hält auf Trapp. Niemand konnte COVID-19 in dem Maße vorhersehen und nun müssen wir irgendwie damit umgehen. Ich habe Träume und Ziele und diese verfolge ich, doch sind sie nicht starr. Sie verformen sich, wachsen, verschwinden. Jede neue Erfahrung und gerade die ungeplanten lassen mich den ganzen Plan neu kalibrieren. 

O: Was sind für dich schöne Gänsehautmomente?

Lie Ning: Wenn Menschen wirklich und kompromisslos stolz sind. Sei es auf sich selbst, die eigene Arbeit oder auf andere, Kinder, Eltern, Freunde, Geliebte und deren Schaffen. Das geht richtig rein.

O: Was bedeutet für dich Kreativität?

Lie Ning: Nimm niemals an, dass die Regeln des Spiels, das du für dich ausgewählt hast, fest sind. 

O: Wie kann man sich deinen Tagesablauf vorstellen?

Lie Ning: Ach der ist langweilig. Vielleicht verbringen wir ja mal einen Tag zusammen. 

© Chris Schwarz

Get an overview w/ Lie Ning

Wer bist du?

Das ist eine Frage, die ich mir noch nicht ganz beantwortet habe.

Was machst du?

Ich versuche möglichst häufig das zu machen, was sich für mich richtig anfühlt. Momentan ist das eine professionelle Tätigkeit in der Musik als Sänger und Schreiber, im Tanz und im Film. Natürlich kommen Verantwortlichkeit, Kompromisse, Gefallen etc. dazu und bewegen das, was sich richtig anfühlt ein wenig. 

Was würdest du nie in deinem Leben machen?

Eine Person böswillig verletzen, um sie leiden zu sehen. Und Schlager.

Was nervt Dich auf der Welt?

Ich habe das Gefühl Kommunikation wird nicht genügend wertgeschätzt. Es gibt zu wenig Orte an denen sich zum Beispiel Mitglieder marginalisierter Gruppen Gehör verschaffen können. Generell die Diktatur von Stereotypen und die Stagnation von eigentlich fluiden Regierungskonzepten. 

Ein lustiger Witz zum Schluss:

Ich bin original die humorloseste Person ever. 

Welches Outfit geht immer?

Zweiteiler.

Wie sieht Dein Masterplan aus?

Wäre dieser existent, würde ich ihn nicht teilen. Kill `em with kindness?

Dein Plan B?

Plan A.

Was ist Deine Achillesferse?

Ich nehme manchmal Menschen und Situationen zu ernst. Und bin dann derjenige, der darunter leidet.

Was verleiht Dir Flügel?

Zu wissen, dass es Menschen da draußen gibt, für die ich ALLES tun würde.

Das schönste Kompliment, dass Du je bekommen hast?

Ich bekomme manchmal gesagt, dass allein meine Sprechstimme Freunde von mir beruhigt oder aufheitert. Das ist definitiv ein wunderschönes Kompliment. 

Ein Tisch – eine Flasche Whiskey: Wen lädst Du in die Runde ein & warum? (3 Personen / alles ist möglich, fiktiv, tot oder lebendig)

  • Zanele Muholi, weil ich so vieles von ihr lernen möchte. 
  • Jeff Buckley, weil ich mich in seiner Stimme verlieren möchte.
  • Und irgendwie würde ich gerne mal voll betrunken mit Merkel chillen. 

Worauf achtest Du bei einem Menschen als Erstes oder was fasziniert Dich?

Die Bewegung eines Menschen, die Haltung. 

Dein persönliches Lebensmotto:

Ich glaube so etwas habe ich gar nicht.

Wovor hast Du Angst?

Meinem Selbstbild nicht gerecht zu werden.

Was machst du sonntags?

Meistens arbeiten.

© Foto Credit Titelbild Isabel Hayn

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