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Interviews

True Colours – Fritz Kalkbrenner im Interview zu seinem neuen und persönlichsten Album

von Hannah
Fritz Kalkbrenner seitliches Portraitbild mit Farben

Fritz Kalkbrenner’s wahres Gesicht – True Colours

Das Warten hat nun endlich ein Ende. Unter dem Namen „True Colours” erscheint auf Fritz Kalkbrenners eigenem Label, Nasua Music, jetzt sein sechstes Studio Album.

Seit über 17 Jahren macht der 38-jährige Fritz Kalkbrenner bereits Musik. Wir haben mit Fritz über sein wohl persönlichstes Album gesprochen und viel Interessantes erfahren. „True Colours“ (zu Deutsch bedeutend „das wahre Gesicht“) ist ein wirklich schönes Album geworden, dessen Facettenreichtum sich mit jedem Abspielen erneut offenbart.

Das Gefühl leichter Wehmut, aber auch wiederkehrender Hoffnung sorgt für eine beständige Balance und verleiht den Liedern eine bestimmte Sinnhaftigkeit.

Wie ein dünner Schleier, legt sich eine gewisse Melancholie sanft über die Songs des Albums, die sowohl zum Nachdenken als auch zum Tagträumen einladen.

So kann ich mir bspw. wunderbar vorstellen, wie der ganze Club um 2 Uhr zu „About Face“ so richtig in Fahrt kommt, an einem warmen Berliner Sonntagmorgen um 6 Uhr in einem der angesagten Outdoor Areas „Golden“ oder „Bright“ für den perfekten Sonnenaufgang sorgt.

Ich selbst durfte das Album bereits vorab hören und lief bei meinen morgendlichen Joggingrunden meine absoluten Bestzeiten mit dem Album auf den Ohren. Allen Songs voran lag ich mit „Last Summer“ bei 4:52 m/km. Mein persönlicher Gute-Laune Song mit dem richtigen Beat für den perfekten Lauf, um den Kopf frei zu bekommen und sich von den ersten Sonnenstrahlen berieseln zu lassen.

Wir finden, Fritz ist mit „True Colours“ ein wirklich tolles Werk gelungen, das uns mit jedem erneuten Hören eine weitere, doch auch private Facette des Künstlers darbietet. Was das Album so persönlich macht, haben wir aus Fritz Kalkbrenner persönlich herausgekitzelt.

O: Welches Gefühl möchtest du mit deinen Songs bei den Hörern auslösen?

Fritz Kalkbrenner: Das möchte ich niemandem vorschreiben. Die Songs sind sehr mannigfaltig und frei von Assoziationen. Jeder soll die Freiheit haben, daraus zu ziehen, was er möchte. Bei diesem Album schwingt viel Melancholie mit. Ich denke, das Wunschgefühl, dass das Album vermitteln soll, wäre bestärkt, beschwingt. Prinzipiell würde ich mir ein bewusstes Hören wünschen und nicht, dass die Lieder zur Audiotapete degradiert werden. Das geht ja heute recht schnell.

Mit bewusstem Hören meine ich hier, nicht fern jeder Wahrnehmung zu sein. Meist wird Musik in Bekleidungsgeschäften oder bei Friseuren gespielt, mit dem alleinigen Ziel Stille zu vermeiden. Das ist schade und kann meinetwegen gerne gegen Vogelgezwitscher ausgetauscht werden. Man sollte der Musik Raum geben, um dem Künstler Rechnung zu tragen.

O: True Colours bedeutet zu Deutsch so viel wie „Das wahre Gesicht“. Würdest du sagen, das Album ist autobiografisch?

Fritz Kalkbrenner: Das Album True Colours ist zwingender Weise autobiographisch, das kann man schon so sagen. Von den Texten jedoch abgesehen, findet ein lyrisches Über-Ich statt. Demnach sollte man natürlich nicht 100 prozentig alles für bare Münze nehmen. Vielmehr ist True Colours eine Übersetzung des eigenen Lebens.

O: Wie gehst du an die Kreation neuer Songs heran?

Fritz Kalkbrenner: Ich habe kein Bild vorher im Kopf. Das ist eher die Tätigkeit eines Komponisten. Wie der Name bereits sagt, aus Liebe zur Komposition. Während hingegen bei Produzenten die Liebe zum Klang im Vordergrund steht. Es geht um die Klangform. Die klangliche Beschaffenheit ist mir sehr wichtig. Das ist ein Herantasten. Man daddelt so vor sich rum.

True Colours hat insgesamt 1,5 Jahre in der Entstehung gebraucht.

Man muss dem Prozess schon Zeit geben. Wie schon gesagt, das los lassen und wieder zurückkommen ist wichtig. 

O: Welches ist dein Lieblingslied auf dem Album?

Fritz Kalkbrenner: Natürlich muss ich jetzt sagen, es sind alle toll. Das Lied, in das jedoch am meisten Arbeit reingeflossen ist, Change Is Gonna Come. Insgesamt ist das Lied 9 Minuten lang. Allein die Ouvertüre umfasst 5 Minuten. Wir haben auch eine 12-minütige Version daraus gemacht. In der Kreation muss man sich dann jedoch irgendwann von den unendlichen Möglichkeiten verabschieden. Es kommt der Zeitpunkt, an dem merkt man, das Lied ist jetzt saturiert, denn 100% erreicht man nicht. Dann ist es Zeit los zu lassen.

O: Wie lange hat die Kreation des Liedes gedauert?

Fritz Kalkbrenner: Change is Gonna Come hat drei Monate in der Entstehung gebraucht. Klar, mit Unterbrechungen, denn manchmal kommt man einfach nicht weiter.

Früher habe ich versucht, durch Geräte anstarren die Ideen und Inspirationen zu erzwingen, aber mit den Jahren lernt man auch, sich mal zu distanzieren, dem Song Zeit zu geben, sich selbst Zeit zu geben und dann wieder zu kommen.

Es lässt sich selten genau erfassen, was dem Song noch fehlt. Manchmal fällt einem das wie Tomaten von den Augen, dann erkennt man es sofort. Ähnlich, wie mit dem Abschluss eines Songs. Manchmal könnte man endlos Schleifen machen, aber letztendlich gilt es dann pragmatisch einen Abschluss zu finden.

O: Hast du eine Muse?

Fritz Kalkbrenner: Nein, ich möchte meine Inspirationsquelle nicht an etwas Konkretem festmachen. Einen unmittelbaren Zusammenhang von Einwirkung und Reflex gibt es bei mir nämlich nicht. Viel mehr sind die Songs auf dem True Colours Album ein Ausdruck erdschweren Gefühls, wie ein Ziegelstein in der Magengrube, der mit den Lebensjahren immer größer wird. Es sind Erfahrungen, die man verarbeitet. Meine Inspiration erfolgt aus all den Dingen heraus, die ich in meiner Lebenszeit erfahren habe.

Vor 20 Jahren hätte ich so ein Album wie heute nicht machen können. All die Erfahrungen, wie großen Erfolg zu erfahren, zwischenzeitlich die Bodenhaftung zu verlieren und wieder zurück zu kommen, Ruhe zu finden, eben alles, was im Leben so auf einen zukommen kann. Diese ganzen 20 Jahre hätten mir damals einfach dazu gefehlt, so ein Album zu machen. Nach so vielen Erlebnissen fällt es einem recht leicht, diese Gefühle in Form zu gießen.

O: Auf was dürfen sich deine Fans auf deiner Tour freuen?

Fritz Kalkbrenner: Es ist so: ein Album steht für sich, allein. Bei einem Konzert wird das Album in den Kanon eingemeindet und bekommt so ein zweites Leben. Es gilt also das Neue und das Alte elegant und künstlerisch miteinander zu verhäkeln. Es wird eine super Bühnenshow geben, die bisweilen auch beeindruckend sein darf.

Die Show wird definitiv ein Knaller und soll seine Wirkung nicht verfehlen. Jeder soll aus diesem 2-stündigen Fluss auch etwas für sich mitnehmen.

Wir sind nun zwei Monate auf Tour und dann beginnt die Festival-Saison. Mit etwas Glück gibt es dann die zweite Tourhälfte im Herbst.

O: Du stehst auf der Bühne am Pult, angestrahlt von Scheinwerfern. Was bekommst du selbst mit und was würdest du dir wünschen?

Fritz Kalkbrenner: Ich sehe gar nichts, Null. Man kann in die Leute nicht reingucken. Viele sagen, es geht ums Abgehen. Aber mich würde es freuen, wenn eine Einmütigkeit stattfindet. Durch ein verbindendes Element, das kann in dem Moment ich sein, aber eine Einigkeit für den Moment wäre eine schöne Sache.

O: Warum singst du nicht auf Deutsch?

Fritz Kalkbrenner: Das hat sich irgendwie verselbständigt. Damals war Englisch „the language of pop“. Deutsch wurde eher mit Schlager assoziiert. In Schweden ist das auch Gang und Gäbe, aber hier wird beispielsweise keiner gefragt, warum auf Englisch gesungen wird. (Bspw. Ace of Base, Roxette etc.) Das ist schon komisch, oder? Auf Englisch zu singen, war irgendwie ein Ding der Selbstverständlichkeit und ich hab es dann auch nicht mehr gewechselt.

Mit einem A- Level bin ich ganz nah an der Muttersprache dran. Ich brech’ mir mit dem Englisch also auch keinen ab. Maximal Steuersachen, das kann ich nicht ganz so gut. Aber da haben auch Muttersprachler Probleme mit.Nach nun so vielen Jahren ist es jetzt auch zu spät zum Wechseln. Ich muss es aber auch nicht ausprobieren. Es geht auch um den Zugang, wenn man so viel in unterschiedlichen Ländern unterwegs ist. So, wie es jetzt ist fällt es mir auch leichter eine Europa Tour zu spielen. Das will ich nicht missen.

O: Hast du Routinen, wenn du auf Tour bist?

Fritz Kalkbrenner: Direkt in die Sauna! Mit den Jahren habe ich gelernt, mit meinen Kräften zu haushalten. Ich bin nicht mehr der Jüngste und mache nicht mehr so viel Quatsch auf Tour, wie früher. Man reist sehr viel, es ist enervierend und geht auf die Knochen. Die Leistungsfähigkeit ist das nötige Kapital. Da kann man schon ein bisschen auf sich aufpassen und weniger zulaufen lassen. Nach den Auftritten gehe ich direkt ins Spa und die Sauna, mache Sport. Damit man keine Schmerzen hat und nicht nach fünf Tagen schon aussieht wie eine Rosine, muss man eben gut auf sich aufpassen.  

O: Was ist für dich Berlin heute?

Fritz Kalkbrenner: Eine andere Stadt. In die Stadt meiner Kindheit kann ich nicht zurückgehen, die ist weg. Es ist heute anders, vollkommen anders. Muss ich das akzeptieren oder kann ich das scheiße finden? Ich muss zugeben, manchmal bin ich ziemlich wehmütig was das angeht. Viel emotionaler, als ich erwarte. Aber das ist der Gang der Dinge.

Meine Theorie zu dem Thema: Menschen sind von einem Riss in der Zeit / ihrer Realität zu tiefst begeistert und dem umweht eine ganz große Magie. Das weht ganz lange nach. Der Sommer 1969 in San Francisco zum Beispiel. Da erinnern sich die Leute mit freudigem Herzen auch heute noch dran. Ähnlich ist es nach dem Mauerfall: Sommer 1990, WM, Berlin als rechtsfreier Raum, die Polizei besaß keine Autorität mehr. Hier wurde der Grundstein gelegt, für diesen Mythos der die Stadt Berlin, in der alles möglich ist, umwehte. Selbst 30 Jahre danach weht das noch nach. Ich fühle mich aber noch wohl. Platz und Raum ist für alle noch da, jeder findet seine Ecken. Meine Schulfreunde sind auch hier.

O: Wie machst du dich frei?

Fritz Kalkbrenner: Gar nicht erst mitmachen. Nicht ausblenden, aber einfach nicht teilnehmen. Bezogen auf den Erfolg des Albums ist es beispielsweise Gleichmut. Natürlich möchte man seine bestmögliche Arbeit erbringen. Man wünscht sich natürlich, dass die Songs im Radio gespielt werden und man tut viel für den Erfolg. Aber man sollte sich nicht kirremachen oder sich beirren lassen von Aussagen, wie „Der Song muss noch hippiger werden“ oder „der Künstler ist gerade angesagt“. Sonst ist man ganz schnell in einer Sackgasse.

O: Lässt du dir in deine Arbeit reinquatschen?

Fritz Kalkbrenner: Nur von befreundeten Musikern, auf akademischer Ebene. Hasskommentare sind mir scheißegal. Mir laufen aber auch nicht viele über den Weg. Ich habe mal bei #disslike mitgemacht, aber Schlimmes war da nicht dabei.

Ich muss zugeben, früher war es jedoch schwieriger, sich davon zu distanzieren. Gleichmut wächst mit der Zeit… Noch ein Geschenk des Alters. Für irgendwas muss das ja gut sein.

O: Welcher Song vom True Colours Album wird der 2020 Hit?

Fritz Kalkbrenner: Good Things sollte der 2020 Hit werden. Der wäre schon der Passendste.

Fritz Kalkbrenner auf dem Stuhl sitzend, mit der Hand stuetzt er den Kopf

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Dein Lieblingswitz:

Kommt ne Bockwurst zum Augenarzt…

Dein Hassgemüse:

Rosenkohl! Ist mir einfach zu bitter. Damit kann ich mich nicht mit anfreunden. Jackfruit wäre auch so eins, die ist zu faserig. Und dann gibt’s noch die Durian (auch Kotzfrucht genannt), wegen des Geruchs.

Dein erster Gedanke bei folgenden Worten:

Spotify: Musikauswertung

BER: Parkhaus

U8: U5

Das schönste Kompliment, das du je bekommen hast:

Ich hab dich lieb.

Auf welches deiner Eigenschaften bist du am meisten stolz?

Ich wüsste nicht einmal, welche Eigenschaften ich habe. Das sollten Außenstehende beurteilen. Empathisch zu sein, sagt man mit nach, aber auch das müssten wir andere befragen.

Wie bleibst du auf dem Teppich?

Dinge abwägen. Demut ist der Schlüssel dazu.

Dein Lieblingslied:

Your love keeps lifting me higher – Jackie Wilson

Dein eigenartigster Besitz:

Ich habe einen Schlüssel zum Öffnen von Uhrendeckeln. Ich mag Uhren ganz gerne und habe nur mechanische Armbanduhren.

Dein Leitsatz für mehr Liebe in den Medien:

Auch die andere Meinung zulassen.

Tee oder Kaffee?

Nur Kräutertee.

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