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Interviews

Global Digital Women Gründerin Tijen Onaran: „Vielfalt ist der Treiber für Innovation.“

von Jen

Tijen Onaran im Interview 

Wer sich mit Digitalisierung und Diversität beschäftigt, kommt an einer besonderen Frau nicht vorbei: Tijen Onaran. Die Gründerin des internationalen Frauennetzwerks Global Digital Women, hat sich große Ziele gesetzt. Sie möchte Frauen stärken und die eingerosteten Unternehmenskulturen an die Bedürfnisse dieser Frauen anpassen.Sie möchte Diversität und Digitalisierung vorantreiben, um ein besseres und facettenreicheres Endergebnis zu schaffen. Tijen selbst hat einen muslimischen Background und weiß, dass in unserer Gesellschaft noch viele Baustellen im Hinblick auf Vielfalt offen liegen. 

„Die Sensibilisierung für diese Themen ist deutlich sichtbar, nur hapert es an der tatsächlichen Veränderung.“ (Tijen Onaran)

Wir haben mit der Networkerin und Speakerin gesprochen und wollten mehr über ihren Lebensweg, über Global Digital Women und den Weg zu einer erfolgreichen und diversen Digitalisierung sprechen. 

Tijen Onaran: „Mit einem freien Geist sind wir effektiver und ausgeglichener.“

Die Global Digital Women Gründerin Tijen Onaran im Interview über Diversität.
© Natascha Zeljko

Overview: Was wolltest du als Kind machen? Welche Träume hattest du?

Tijen Onaran: Als Kind war ich sehr zurückhaltend, nicht wie heute. Immer, wenn jemand mit mir ein Gespräch angefangen hat, war ich irritiert und hatte auch nicht das Bedürfnis mit anderen Menschen zu reden. Aber mir war es immer wichtig, dass es allen gut geht und sich meine Freunde untereinander verstehen. 

Irgendwann kam ich auf die Idee Polizistin zu werden. Dazu muss ich sagen, dass ich sehr lange Kampfsport praktiziert habe. Die Skills, die ich dort gelehrt habe, könnte ich super als Polizistin anwenden – im Notfall natürlich. So würde ich mich für Recht und Ordnung einsetzen und gute Sachen vollbringen. Das fand ich super interessant. Ich wollte nie Ärztin oder Rechtanwältin werden.

O: Was für einen Kampfsport hast du genau gemacht und wie lange?

Tijen Onaran: Taekwondo und zwar sieben Jahre lang. Ich habe den blauroten Gürtel. Das Gute im Kampfsport ist, dass du deine Gürtel stilllegen lassen und eine Pause machen kannst. Ich könnte jetzt problemlos wieder einsteigen. Ich müsste lediglich noch einmal eine Prüfung wiederholen und könnte sofort den höheren Gürtel anstreben. 

O: Hat man noch gewisse Handgriffe drauf, für Gefahrensituationen? 

Tijen Onaran: Ich wüsste schon, was ich machen müsste. So ein paar Handgriffe, die auch nicht so schwer sind, hat man natürlich noch im Kopf. Aber für die Prüfungen und um den nächsten Gurt zu erlangen muss man wirklich viel Zeit ins Training investieren. Es erfordert extrem hohe Disziplin. Da gibt es beispielsweise auch die Bretter, die du durschlagen musst.

O: Also können wir uns Tijen auch beim Bretterdurschlagen vorstellen?

Tijen Onaran: Ja, das habe ich tatsächlich auch gemacht. Meine Mutter hatte mich früher zuerst beim Ballett angemeldet. Da habe ich mich jedoch wie ein Elefant im Porzellanladen gefühlt. Ich wusste gleich, „Das wird nichts.“. Und so haben wir etwas ganz Anderes probiert: Kampfsport. Das hat natürlich viel besser gepasst, vor allem weil ich auch immer mit meinem Bruder als Kind gekämpft habe. Wir haben wirklich gerne miteinander gerangelt. 

O: Warum hast du dich dann letztendlich gegen die Polizei entschieden?

Tijen Onaran: Ich habe festgestellt, dass es nicht das war, was ich wirklich wollte. Nach meinem Abitur habe ich wirklich lange überlegt, was ich machen soll. Ich war nie jemand, der für sich einen riesigen Plan hatte. Ich war froh, dass das Abi rum war und danach konnte ich mir in Ruhe etwas überlegen. Zur gleichen Zeit fing mein politisches Engagement an zu wachsen. Ich bemerkte, dass es mir großen Spaß gemacht hat, sich politisch für ein bestimmtes Thema auch inhaltlich einzusetzen und zu „kämpfen“. 

O: Du hast ja wahnsinnig viel danach gemacht. Welche Schritte würdest du als besonders wichtig erachten?

Tijen Onaran: Richtig angefangen habe ich mit einem VWL-Studium, das ich allerdings nach drei Semestern für ein Politik-Studium verlassen habe. Das war wunderbar und ich wollte natürlich auch lange in der Politik arbeiten. Ich habe neben meinem Studium verschiedene politische Praktika gemacht, für verschiedene Bundestagsabgeordnete gearbeitet, für Europaabgeordnete und habe bei Wahlkämpfen mitgeholfen. Also wirklich alles, was man in der Politik machen kann. 

O: Du warst ja noch relativ jung. Wie kam dann der Wandel?

Tijen Onaran: Das kam nach meiner eigenen Kandidatur 2006 für die FDP. Das war absolutes Neuland für mich und unsere Gesellschaft. Ich war eine junge Studentin, weiblich und mit Migrationshintergrund. Das passte natürlich alles gar nicht in das damalige Klischee-Denken. Es war aber auch spannend zu sehen, wie man Impulse setzen und ein Stückweit die Tür für andere öffnen kann. 

Es war positiv, aber auch negativ beeindruckend. Positiv war das Gefühl, was du alles erreichen kannst, wenn du Menschen um dich herum hast, die dich auf deinem Weg unterstützen und die hatte ich immer. Ich sehe das alles mittlerweile als eine gute Übung, für meinen jetzigen Lebensalltag. Und das Negative, was mich auch davon abgehalten hat, diesen Weg weiterzugehen, war, dass ich gemerkt habe, dass Parteipolitik nicht unbedingt Gestaltungspolitik ist. Es ist nicht so, dass du als Teil einer Partei deine ganzen Ideen umsetzen kannst. Im Grunde bist du in diesem komplexen System nicht frei. Ich bin in die Partei eingetreten, weil ich wirklich etwas verändern wollte. 

O: Wann kam der Entschluss zu gehen?

Tijen Onaran: Das war, als ich im Bundespräsidialamt war. Da musste ich mir die Frage stellen, was mache ich jetzt, da mein Studium abgeschlossen war. Ich war also Ready-to-go. Ich hatte mehrere Wege, die ich anstreben könnte. Einer davon war, einen ganz neuen politischen Weg zu gehen, ohne in einer Partei zu sein. So habe ich mich entschlossen meinen eigenen Weg zu gehen. 

Schon damals wusste ich, dass es ungesund für das eigene Wohlbefinden und die innere Unabhängigkeit ist, sich über Jahrzehnte im gleichem Radius zu bewegen. Menschen, die unabhängig sind, zeigen eine gewisse Leichtigkeit. Diese Leichtigkeit ist mein Anspruch an mich selbst. Ich mache viel Unterschiedliches, weil ich nie abhängig von einer Sache sein möchte. So habe ich meinen freien Geist und bin viel effektiver und ausgeglichener. 

O: Hilft dir diese innere Einstellung auch in Diversitätsfragen?

Tijen Onaran: Natürlich, wenn mein Geist frei ist und ich so viele verschiedene Eindrücke wie möglich bekomme, kann ich schauen, wie verschiedene Unternehmen ihrem Diversitätsanspruch gerecht werden und ob verschiedene Ansätze zusammenpassen. Um das leisten zu können, muss ich einfach so viel sehen wie möglich. 

O: Genau aus diesem Mangel an Freiheit stehen Lehrer oft in der Kritik. Wie stehst du dazu?

Tijen Onaran: Das ist tatsächlich ein Thema mit dem ich mich jetzt aktuell auch auseinandersetze. Das wird einer meiner nächsten Artikel sein, weil ich vor kurzem eine Situation hatte mit einer ganz tollen und inspirierenden Frau. Ihr Lehrer hatte zu ihr gesagt, sie solle es lieber lassen mit dem Gymnasium. Ich bin der Meinung, dass Lehrer und Lehrerinnen so einen enormen Einfluss auf deinen beruflichen Weg haben. Dir bleiben die Äußerungen deiner Lehrer/innen immer im Hinterkopf. Diese junge Frau meinte zu mir, für sie sei das ein Hebel gewesen, es ihren Lehrern zu zeigen. Es gibt aber auch Menschen, die dadurch eine große Frustration erleben. Ich finde, dass unser Schulsystem und unsere Lehrer/innen aufpassen müssen und sich auch der Verantwortung bewusst werden müssen, was sie mit ihren Aussagen anrichten können.

O: Hattest du auch schon mal ein unfaires Erlebnis mit einem Lehrer/in?

Tijen Onaran: Ja, ich werde es auch nie vergessen. Meine Eltern kommen ursprünglich aus der Türkei und sprechen darum auch gut türkisch. Ich allerdings nur durchschnittlich. Deutsch spreche ich viel besser. Meine Eltern wollten, dass ich eine Sprache perfekt spreche und nicht beide Sprachen halb-halb. So hatte ich in Deutsch immer nur Einsen. Dann hatten wir eine Referendarin, die mich sah, meinen Namen las und mir in einem Aufsatz eine fünf gegeben hat. Das hatte ich noch nie! Der Grund war: Thema verfehlt. Meine Mutter konnte das nicht glauben und ist zur Schule gegangen, um mit der Referendarin zu sprechen. Die Referendarin sagte zu meiner Mutter: Bei ihrer Tochter merkt man, dass sie sehr viel türkisch zuhause reden. Das war natürlich nicht richtig. Meine Mutter erklärte ihr, dass sie nur Deutsch mit uns spricht und sogar traurig ist, dass wir unsere Muttersprache so sehr vernachlässigen. Die Referendarin war zunächst verwundert und bedankte sich, dass meine Mutter in die Sprechstunde gekommen war. Es war klar, dass hier das Klischee im Kopf tief verankert war. 

Ab dem Zeitpunkt hatte ich keine fünf mehr, sondern meine vorherigen Noten.  Sie hatte sich aus verschiedenen Elementen ein Vorurteil zusammengesetzt.

O: Was bedeutet für dich Diversität?

Tijen Onaran: Runtergebrochen bedeutet Diversität Vielfalt. Und Vielfalt hat zwei Aspekte: Zum einen ist Diversität natürlich auch anstrengend, denn in dem Moment, in dem wir ganz verschiedene Menschen an einen Tisch setzen, benötigen wir selbstverständlich mehr Zeit, um zu einem Endergebnis zu gelangen. Aber das Ergebnis an sich wird höchstwahrscheinlich viel besser und facettenreicher sein, als wenn nur eine Perspektive am Tisch sitzt. 

O: Wenn Dich ein Unternehmen kontaktiert und eine Beratung in Diversitätsfragen wünscht, wie gehst du vor? 

Tijen Onaran: Das ist ganz unterschiedlich. Es hängt viel davon ab, wo das Unternehmen gerade steht und welches Ziel verfolgt wird. Es gibt beispielsweise Unternehmen, die mich als Inspiration holen. Hier kann ich unter anderem einen Vortrag über das Thema Netzwerken, Personal Branding oder Social Media vor dem internen Frauennetzwerk halten. In solchen Vorträgen versuche ich den Menschen mindestens einen neuen Impuls mit auf den Weg zu geben, den sie vorher noch nicht im Kopf hatten. 

Dann gibt es Unternehmen, die Global Digital Women oder mich in der Rolle des Beraters aufsuchen. Zum Beispiel, wenn ein Unternehmen merkt, dass weibliche Bewerber ausbleiben oder Führungsposition in den meisten Fällen mit männliche Bewerbern besetzt werden. Hier geht es darum, dass wir uns die Human Resources Prozesse im Unternehmen anschauen und analysieren.  

Dadurch, dass wir bereits mit sehr vielen unterschiedlichen Unternehmen zusammengearbeitet haben, können wir Unternehmen vergleichen und bereits funktionierende Maßnahmen oder Wege etablieren. So können wir einen neuen Fahrplan konzipieren, den wir gemeinsam durchgehen. Wir schauen uns unter anderem die Webseite des Unternehmens an, die angebotenen Stellenausschreibungen oder auch die Tonalität. Manchmal kann es einfach an der Tonalität liegen, dass bestimmte Personengruppen sich nicht angesprochen fühlen. Bestimmte Wörter schrecken beispielsweise Frauen von einer Bewerbung ab. Oder wir schauen uns die

Förderprogramme eines Unternehmens an. Sind die Programme so ausgerichtet, dass sie auf das Diversitätsthema eingehen und die Unternehmenskultur verändern oder ist das Programm so ausgerichtet, dass es die Frauen verändert oder gar verändern muss. 

Unsere Arbeit ist somit sehr stark abhängig von dem Unternehmen, das uns fragt. 

O: Hast du durch oder mit deiner Arbeit einen Wandel in der Unternehmenskultur erlebt? 

Tijen Onaran: Absolut. Würde ich auf der Stelle treten, dann hätte ich schon längst nach einer anderen Profession gesucht. Wir arbeiten schon daran, dass es Global Digital Woman eines Tages nicht mehr braucht.  Aber ich weiß auch, dass dieser Prozess noch sehr lange dauern wird. 

Ich sehe eigentlich zwei Aspekte, die sich gewandelt haben. Der Erste ist, dass eine neue Generation von Frauen nachkommt. Frauen, die bestimmte Dinge bereits früh einfordern, wie eine angepasste Unternehmenskultur. Und hier sehen sich die Frauen nicht in der Fehlposition, sondern sie sehen das Unternehmen als veraltet an. 

Der zweite Aspekt ist, dass ich durchaus schon eine Sensibilität für dieses Thema in den Unternehmen sehe. Das beinhaltet nicht nur die gesetzlich eingeforderte Frauenquote, sondern vor allem die Gespräche mit Vorstandsmitgliedern verschiedener Unternehmen. Ich merke, wie sich das Bewusstsein verändert. 

Doch ich glaube auch, dass zwischen der Sensibilität und der Veränderung noch eine große Kluft liegt und genau an dieser hapert es. Ein Unternehmen sieht beispielsweise, dass nur ein Geschlecht am Tisch sitzt – Awareness – aber sie arbeiten noch nicht an der Veränderung. Aber alleine das Bewusstsein geschaffen zu haben, ist eine gute Basis für unsere Arbeit. 

O: Gibt es Themen neben Digitalisierung, Netzwerken und Internet, für die Du brennst, die dich interessieren?

Tijen Onaran: Ich bin leidenschaftliche Talkshow-Guckerin. Ich liebe Talkshows, wie den Kölner Treff oder 3nach9. Das sind auch meine Inspirationsquellen. In diesen Talkshows kommen immer wieder Menschen vor, die außerhalb meiner Blase leben. Ich habe darüber schon so viele tolle Menschen entdeckt, wie beispielsweise Bienenzüchter. Ich bin einfach total fasziniert von den Geschichten unterschiedlicher Menschen. 

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